Die Wiesen stehen in vollem Grün, die Temperaturen sind sommerlich warm und der nächste Regen noch nicht in Sicht – ideale Bedingungen für die erste Mahd in diesem Jahr. Doch die Freude der Landwirte ist nicht ungetrübt: Jedes Jahr werden beim Mähen der Grünflächen zahlreiche Rehkitze verletzt oder getötet.
Die neugeborenen Kitze werden von den Geißen im hohen Gras abgelegt. Im Gegensatz zu erwachsenen Tieren fliehen sie nicht bei Gefahr, sondern bleiben ganz ruhig am Boden liegen. Da die Jungtiere nahezu geruchlos sind, werden sie so für Beutegreifer im Prinzip unsichtbar. Genau dieses Schutzverhalten wird ihnen bei der Mahd zum Verhängnis.
Doch es gibt mehrere Möglichkeiten, um ein Ausmähen von Rehkitzen zu vermeiden. Grundlage dafür ist die enge Zusammenarbeit zwischen Landwirt und Jäger. Da die Jäger das Verhalten der Tiere im Revier genau kennen, wissen sie, in welchen Wiesen die Geißen ihre Kitze vorzugsweise zur Welt bringen.
Maximal zwei Tage vor der Mahd werden dort im Abstand von ca. 50 m sogenannte „Wildscheuchen“ aufgestellt. Sie signalisieren den Geißen durch Aussehen und Geräusche Gefahr und veranlassen sie dazu, ihre Jungtiere über Nacht aus der Wiese zu holen.
Am Vorabend der Mahd werden die Flächen vom Jäger systematisch mit einem gut ausgebildeten Jagdhund abgesucht. Gefundene Kitze werden herausgetragen und bis nach der Mahd eingesperrt. Dabei dürfen sie nur mit Grasbüscheln berührt werden, um eine Geruchsübertragung zu vermeiden. Kitze, die der Jagdhund nicht finden konnte, werden in der Regel in der nächsten Nacht von den Geißen selbst fortgebracht, da die Tiere den intensiven Geruch von Hund und Mensch als Gefahr wahrnehmen. Direkt vor der Mahd sollte man die Fläche mit mehreren Personen nochmals im Abstand von 2-3 Metern abgehen und gefundene Rehkitze heraustragen.
Da diese Wildschutzmaßnahmen auf sehr großen Grünlächen problematisch werden, arbeitet der Bayrische Jagdverband (BVJ) zur Zeit an einem sogenannten „Oktokopter“, der die Kitze aus der Luft mit Hilfe einer Infrarotkamera orten kann. Das Projekt befindet sich gerade in der Testphase.
Auch am Landgut Kemper & Schlomski (LGKS) steht die erste Mahd in diesem Jahr an. Dank der ausgezeichneten Unterstützung durch den passionierten Jäger Richard Schwald, der als Exkursionsleiter auch im Schulwaldprojekt des LGKS aktiv ist, konnten im Vorfeld alle Maßnahmen zur Rettung der Rehkitze geplant und umgesetzt werden. Ein absolutes Highlight für alle war dabei der Wettbewerb um die schönste Wildscheuche. Im Prinzip genügt zum Bau einer Scheuche ein 3-4 m hoher Pfahl, der mit einem Papiersack und beweglichen Bändern bestückt wird, aber diese einfache Umsetzung war unseren jungen Mitarbeiterinnen nicht genug: Mit Feuereifer werkelten und hämmerten, schmückten und verzierten sie den ganzen Tag ihre 3 m hohen Kunstwerke. So entstanden „Frida“, „Gisela“, „Herbert“, „Manfred“ und viele weitere wunderbare Figuren, die nun ihre neuen Arbeitsplätze in den entsprechenden Wiesen eingenommen haben. Mit ihren raschelnden Plastiksackarmen, wehenden Zöpfen aus Flatterbändern, Besenköpfen und Luftballonohren werden sie sicher jedes Reh in helle Aufregung versetzen…