Wer den internationalen Tag der Artenvielfalt (22.05.) in diesem Jahr auf besondere Art und Weise verbringen wollte, musste dazu nicht erst in die Ferne schweifen: An den Müglitztalhängen bei Schlottwitz leben nicht nur zahlreiche bedrohte Tierarten wie die Kleine Hufeisennase, dort befindet sich außerdem das größte und gleichzeitig älteste Eibenvorkommen in Sachsen. Ein guter Grund für Bärbel Kemper und ihr Team vom Landgut Kemper & Schlomski (LGKS), alle Naturinteressierten an diesem Tag zu einem gemeinsamen Spaziergang ins Reich der Eiben einzuladen.
Erste Station nach dem Start am Wanderparkplatz Schlottwitz ist die bekannte 1000jährige Eibe, die sich in einer Hangmulde an den Fels klammert. Auf ihren uralten Wurzeln, im Schatten der ausladenden Äste sitzend, lauschen die Wanderer dem, was Forstwissenschaftlerin Kerstin Heyne über diese einzigartigen und seltenen Bäume zu erzählen weiß. Interessant ist ihre Vergangenheit und spannend auch die Baumart an sich. Jeder Teil der Eibe, bis auf ihre Früchte, ist giftig, und im Gegensatz zu anderen Arten besitzt sie die Fähigkeit, sich selbst zu erneuern, indem sie einen neuen Stamm ausbildet. Kulturhistorisch steht die Eibe daher sowohl für den Übergang von Leben und Tod, als auch für die Ewigkeit. Viele Geschichten ranken sich um sie und einige ihrer Geheimnisse konnten trotz moderner Forschungsmethoden bis heute nicht gelüftet werden.
Der schmale Wanderweg führt die Gruppe bergan über karge Porphyr-Blockhalden, durch Heidekraut und sonnigen Eichen- und Kiefernbestand. Naturschutzexperte Karl-Heinz Rehn, Forstwirt a. D., kennt die Entwicklung von Flora und Fauna an den Müglitztalhängen genau und erläutert immer wieder die Besonderheiten der vorgefundenen Vegetation. Mit kritischem Blick unterscheidet er dabei angepflanzte, von den an den Standorten natürlich vorkommenden Baumarten und erinnert an die (Forst)Geschichte der Region.
Hin und wieder zieht sich die Gruppe auseinander. Während Bärbel Kemper den interessierten Gästen Wissenswertes zur regionalen Naturschutzarbeit am LGKS nahe bringt, diskutiert Karl-Heinz Rehn mit mehreren Teilnehmern über Sinn und Unsinn der Eingriffe in den Wald durch Menschenhand in den letzten Jahrzehnten. Einer der Teilnehmer entpuppt sich als Ameisenexperte und untersucht gemeinsam mit den anwesenden Kindern verschiedene Waldameisen unter der Lupe. Im Eibenwald sammelt sich die Gruppe wieder und verharrt für eine Weile. Der Unterschied zu anderen Teilen des Hangmischwaldes ist markant: die Vegetation am Boden schwindet und die Temperatur sinkt spürbar. Im Halbdunkel der eindrucksvollen Bäume wird den Wanderern klar, warum die Eibe schon seit dem Altertum eine Faszination auf uns Menschen ausübt.
Immer weiter geht es bergauf. Mit jedem Höhenmeter nimmt die Wärme am Hang zu und auch die Vegetation verändert sich. Am Oberhang bildet die Besenheide einen geschlossenen Teppich unter den immer niedriger werdenden Eichen. An sonnigen Stellen wächst der Gemeine Wacholder. Am höchsten Punkt des Lederberges wird der steile Aufstieg mit einen Panoramablick über das Müglitztal weithin bis zum Geisingberg belohnt. Und auch den Ausblick zur anderen Hangseite in Richtung Sächsische Schweiz sollte man nicht verpassen. Das an Landschaftselementen reiche Osterzgebirge lässt sich von hier oben gut überblicken. Vor der malerischen Silhouette von Lilienstein und Königstein zieht ein Pärchen Rot-Milane seine Kreise. Die mittelgroßenGreifvögel, die gut an ihrem deutlich gegabelten Schwanz zu erkennen sind, nisten jedes Jahr im Wäldchen neben dem Landgut-Teich. Dort findet auch die Themenwanderung ihr Ende. Bei einem gemeinsamen Kaffee in gemütlicher Runde beantwortet Bärbel Kemper noch einmal viele Fragen rund um das Landgut Kemper & Schlomski, die Pferdezucht und die verschiedenen Naturschutzprojekte.
Hofhund Hamlet lässt sich unterdessen ausgiebig von den Kindern kraulen. Nebenbei beobachtet er das lebhafte Stockentenpärchen im Teich. Dieses interessiert sich gerade vor allem für die zahlreichen Kaulquappen unter der Wasseroberfläche. Etwas oberhalb macht eine flinke Rauchschwalbe in der fast schon sommerlich warme Luft Jagd auf Insekten. Am Zaun der angrenzenden Weide verfolgen die jungen Fjordpferde das Geschehen. Und sie sind nicht die einzigen: Vom hohen Gras fast versteckt, lugt ein Graureiher immer wieder aufmerksam in Richtung der Kaffeetrinkenden. Es ist eben ein richtiger Tag der Artenvielfalt.